Wir feiern heute den einen Gott in drei Personen, der zugleich Schöpfer der Welt ist, die Schöpfung im Dasein hält und unter den eucharistischen Gestalten gegenwärtig ist. Wir merken sofort, Gott sprengt unsere Vorstellungskraft. Wir würden Vieles über ihn nicht wissen, hätte es Jesus Christus, der Sohn Gottes, uns nicht gelehrt.
Letzten Sonntag habe ich behauptet, dass der Streit oder auch das Recht-haben-wollen ein „Symptom“ für die Existenz Gottes ist. Sie würden uns darauf hinweisen, dass wir einen Maßstab über dem Menschen voraussetzen.
Können wir sicher sein, dass dieser Maßstab nicht ein menschlicher Instinkt oder nur eine Gewohnheit ist?
Wir alle kennen das Gefühl, von einem Instinkt getrieben zu werden. Instinkt bedeutet, dass ich ein mitunter starkes Bedürfnis oder Verlangen habe, etwas zu tun. Ich kann Hunger verspüren, weil ich heute noch nichts gegessen habe. Ich kann einem Menschen helfen wollen, weil er mir sympathisch ist. Es ist aber etwas ganz anderes, wenn mir meine innere Stimme befiehlt, dass ich einem anderen helfen muss, ob ich will oder nicht.
Im Winter 2010/11 bin ich bei -30° C durch die kasachische Steppe gefahren. Ich war mit dem Jeep auf dem Weg zur heiligen Messe, als mir ein Mann auffiel, der zu Fuß unterwegs war. Ich überlegte kurz, wie viele Kilometer es noch ins nächste Dorf sein würden: ich schätzte 18 km! So entschloss ich mich, ihn mitzunehmen.
Ich hielt an und fragte ihn, ob er mitfahren wolle. Freudig nahm er an. Als er ins Auto eingestiegen war, bekam ich keine Luft mehr. Er hatte seit Monaten weder die Wäsche gewechselt noch sich gewaschen und schlief im Stall bei den Tieren, um nicht zu erfrieren. Ich öffnete das Fenster einen Spalt, um frische Luft zu bekommen, so unerträglich war für mich der Gestank. Als er ausstieg, war er glücklich, ich auch. Auf seinem Sitz blieb etwas Stroh als Beleg für seine Schlafstätte zurück.
Als ich wenige Tage später dieselbe Streck fuhr und ihn wieder sah, strahlte er und ich dachte mir: O Herr, einmal ist doch genug! Da hörte ich eine Stimme in mir: „Wenn du eine so verwöhnte Nase hast, dann wärest du auch nicht in den Stall zu mir gekommen!“ Es war gerade Weihnachtszeit. Ich nahm ihn mit.
Meine innere Stimme forderte mich auf, ihm zu helfen. Hätte ich ihm nicht geholfen, hätte mich ein schlechtes Gewissen gequält. Meine instinktive Reaktion (Ich will diesen Gestank nicht noch einmal in meinem Auto!) ordnete sich dieser inneren Stimme unter. Diese innere Stimme bewertete meine instinktiven Reaktionen, auch wenn ich nicht darüber nachdachte. Die innere Stimme wurde mir besonders bewusst, weil sie mich aufforderte, etwas Unangenehmes und mir Widerstrebendes zu tun.
Meine Instinkte sind demnach weder gut noch schlecht, es ist diese innere Stimme, die sie auf das Gute ausrichtet. Das hat weitreichende Konsequenzen. Hunger zu empfinden ist lebensnotwendig, aber den Hunger zur höchsten Prämisse im Leben zu machen, ließe mich zum Unmenschen werden. Das gilt für alle anderen Instinkte ebenso. Diese innere Stimme ist also kein Instinkt, sondern ordnet die Instinkte auf das Gute hin!
Könnte sie aber nicht eine von Menschen festgelegte Gewohnheit sein, wie das Rechtsfahrgebot auf den Straßen oder das Gebot, bei einer roten Ampel stehen zu bleiben? Wir fühlen uns an diese Regeln gebunden, obwohl Menschen sie festgelegt haben. Andere Länder andere Sitten heißt es so schön. In Großbritannien fährt man Links. Ebenso könnte es ein Land geben, wo man bei grün stehen bleibt und bei rot fährt. Ist diese Stimme in mir damit nicht nur eine menschliche Festlegung?
Was halten Sie von Kanibalismus, der Beschneidung von Mädchen oder dem Kindesmissbrauch, über den die Nachrichten wieder berichten?
Ich gehe davon aus, dass Sie das als Verbrechen einstufen. Sie setzen damit voraus, dass es einen Maßstab gibt, an dem Sie das eigene und das fremde Verhalten messen können. Ohne diesen Maßstab wären Kanibalismus, Beschneidung von Mädchen, Kindesmissbrauch und Menschenrechte gleichwertige Verhaltensweisen. Gäbe es diesen Maßstab nicht, gäbe es keinen moralischen Fortschritt oder Rückschritt. Denn Fortschritt oder Rückschritt heißt ja nicht, es ändert sich etwas, sondern es verbessert oder verschlechtert sich etwas.
Dieser Maßstab, meine innere Stimme, ist demnach auch keine menschliche Gewohnheit, sondern bewertet sie. Dieser Maßstab existiert unabhängig davon, ob ich an ihn denke oder nicht. Die Art und Weise, wie ich über die Vorstellungen anderer Menschen und Kulturen denke, beweist mir, dass ich einen Maßstab voraussetze.
Noch einen letzten Gedanken: Wenn ich als Pfarrer an Sie Erwartungen herantrage, dann können Sie daraus auch auf meine Person schließen. Die innere Stimme sagt mir nicht nur, was ich tun muss, sondern auch wie Gott ist! Wenn wir Gott besser kennenlernen wollen, dann sollten wir die hl. Schrift, besonders das Leben Jesu, und den Katechismus studieren, aber wir müssen auch lernen, in der Stille auf die innere Stimme zu hören.