23. November 2024

Wer Mitgefühl zeigt, fühlt wie Gott

Endlich können wir wieder öffentlich einen Sonntagsgottesdienst feiern. Wir feiern Gottesdienst, um unseren Anspruch auf das ewige Leben, den wir mit der Taufe empfangen haben, aufrecht zu erhalten. Es ist wie mit einer Versicherung. Wenn Sie Ihre Prämien nicht einzahlen, dann verfällt Ihr Anspruch auf die Hilfe und den Schutz. Um den Anspruch auf das ewige Leben nicht zu verlieren, versammeln sich die Christen seit 2000 Jahren Sonntag für Sonntag zum Gottesdienst.

Doch wer ist dieser Gott, der uns ewiges Leben in seiner Herrlichkeit verspricht? Im Johannesevangelium (Joh 14,1-12) hören wir, dass zwei enge Vertraute – Philippus und Thomas – den Herrn nicht verstanden, obwohl sie all seine Wunder gesehen hatten und jahrelang das Leben mit ihm geteilt hatten. Auch wir tasten uns mit Bildern und Symbolen an die Wirklichkeit Gottes heran und wissen doch: Er ist immer größer als all unsere menschlichen Vorstellungen von IHM.

Aber wir haben einen Joker! In Jesus hat Gott ein menschliches Angesicht. Wenn wir auf das Leben Jesu blicken und auf seine Worte hören, dann erfahren wir etwas über Gott aus erster Hand! Damit diese Informationen nicht verloren gehen und wir auch heute noch die Sakramente empfangen können, hat Jesus die Kirche gegründet. Sie hat keinen Selbstzweck, sie soll uns helfen das ewige Leben zu gewinnen.

Was sagt uns das Leben Jesu über Gott? Gott muss uns wahnsinnig lieben! Gott – dem nichts fehlt und der nichts braucht – wird wegen seinem in Sünde gefallenen Geschöpfes Mensch und stirbt aus Liebe für Sünder am Kreuz. Keine andere Religion teilt mit uns Christen diesen Glauben.

In der Osternacht hat uns die Kirche beten lassen: „O unfassbare Liebe des Vaters: Um den Knecht zu erlösen, gabst du den Sohn dahin! O wahrhaft heilbringende Sünde des Adam, du wurdest zum Segen, da Christi Tod dich vernichtet hat.“ – Wann haben Sie eine Sünde als heilbringend empfunden? – „O glückliche Schuld, welch großen Erlöser hast du gefunden!“ – Wann haben Sie Glück empfunden, weil Sie sich schuldig fühlten?

Die Kirche besingt mit diesen Worten das unfassbare Handeln Gottes. Der Apostel und Evangelist Johannes sagt von Jesus: Er ist die Liebe! Mit anderen Worten sagt er uns: Jesus, dem ich begegnet bin, war nicht nur ein besonders liebenswerter Mensch oder ein Mensch, der mehr Liebe geschenkt hat als alle anderen. Alles, was er getan, gesagt oder gedacht hat, war von einer unfassbaren Liebe durchdrungen und angetrieben. Gott hat uns in Jesus sein Mitgefühl gezeigt.

Er hat Interesse am Leben jedes Menschen und er sieht das Leid und die Not jedes Einzelnen. Er nützt seine Allmacht nicht gegen uns aus. Er will unser Leid und unsere Not lindern, weil er nicht ertragen könnte, dass sein Geschöpf verloren geht.

Mitgefühl zu haben bedeutet: Ich will den anderen glücklich sehen. Gott will mich glücklich sehen! Mitgefühl in seiner höchsten Form zu haben bedeutet: Bereit zu sein, das eigene Leben für andere in Gefahr zu bringen. Jesus stirbt am Kreuz.

Aber sind das nicht nur schöne Worte und die Realität, in der wir leben, ist eine ganz andere? Wo ist dieser Gott in unserem Alltag? Wo und wie können wir seine Liebe erfahren? Dürfen wir diese Frage so stellen?

Jesus hat uns einen Auftrag gegeben: „Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan! — Was ihr einem meiner geringsten Brüder nicht getan habt, das habt ihr mir nicht getan!“ (vgl. Mt 25,31 ff). Wir können uns also nicht bequem zurücklehnen und darauf warten, dass Gott noch einmal herabsteigt, um das Leid und die Not von Menschen zu lindern. Das ist unser Auftrag!

Petrus sagt uns: Wir Christen seien lebendige Steine, die zusammen zu einem geistigen Haus aufgebaut werden, eine heilige Priesterschaft, um geistige Opfer darzubringen, die Gott gefallen (1 Petr 2,5). Und Paulus ermahnt uns kraft des Erbarmen Gottes mit uns, unsere Leiber als lebendiges, heiliges und Gott wohlgefälliges Opfer darzubringen – als unseren geistigen Gottesdienst (Röm 12,1). Gott will durch uns in diese Welt eingreifen. Wir sollen Gott in dieser Welt sichtbar machen. 

Gott hat Mitgefühl mit uns, aber er erwartet von uns auch Mitgefühl mit dem Nächsten, auch wenn er schwach, arm und unliebsam ist. Unser Verstand wird Gott auf Erden weder ganz verstehen noch ganz erkennen können. Gott ist immer größer als alles, was wir über ihn denken können. Aber der Liebende findet in die Nähe Gottes.

Gott hat sich klein gemacht, als er Mensch wurde. Gott hat sich kleiner gemacht, als er sich von Menschen töten ließ. Er hat sich noch viel kleiner gemacht, um im Sakrament der Eucharistie als Brot des Lebens bei uns zu bleiben. Er macht sich klein aus Liebe zu uns.

Das Leben Jesu lehrt uns: Demut ist Sich-klein-Machen aus Liebe zum Nächsten! Das Sich-klein-Machen setzt Mitgefühl mit dem Nächsten voraus. Wer Mitgefühl mit der Not und dem Leid eines anderen hat, fühlt wie Gott.