30. Oktober 2024

Was hat der Turmbau zu Babel mit Weihnachten zu tun?

Haben Sie manchmal das Gefühl, dass Ihre Arbeit frucht- und sinnlos ist? Wird die Arbeit und das, was wir von ihr haben, nicht oft zum Dreh- und Angelpunkt der eigenen Identität? Dient die Arbeit uns nicht oft, um Macht und Sicherheit anzuhäufen, um selber über unser Leben bestimmen zu können? Sie kennen alle die Geschichte vom Turmbau zu Babel aus dem Buch Genesis.

Dann sagten sie:

Auf, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm mit einer Spitze bis in den Himmel! So wollen wir uns einen Namen machen, damit wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen.

Gen 11,4

Wofür arbeiten die Erbauer des Turms zu Babel? Wofür arbeiten die meisten ehrgeizigen Menschen heute? Sie wollen mehr Macht, Ruhm und Selbstbestimmung. Doch dieses Verhalten enthüllt eine tiefe innere Unsicherheit. Wer sich auf diese Weise einen Namen machen will, hat noch keinen. Entweder wir bekommen unseren Namen (unser innerstes Wesen, unser Selbstwertgefühl und unsere Einzigartigkeit) dadurch, dass Gott uns geschaffen hat, oder wir versuchen uns einen Namen zu machen durch das, was wir selber für uns tun können.

Wie versuchten die Leute von Babel, ihre Identität durch Arbeit zu finden? Sie wollten einen Turm bis in den Himmel, der Wohnung Gottes, bauen. Sie suchen ihr Heil in den Früchten ihrer Arbeit, nicht bei Gott. Dass sie nicht über die ganze Erde verstreut werden wollen, zeigt weiter, dass sie ihre Identität in der großen Gruppe suchen. Ein Teil ihres Macht- und Sicherheitsgefühls kommt aus der Größe und dem Reichtum ihrer Stadt. Während die erste Art ihrer Identitätsfindung die persönliche Leistung zum Götzen erhebt, macht die zweite Art die Gruppe zum Götzen.

Wir haben dann nur noch die Wahl, entweder unser Ich zu unserem Götzen zu machen (was zur Zersplitterung führt, die die modernen, westlichen, individualistischen Kulturen kennzeichnet) oder die Gruppe (was zu Kollektivkulturen in anderen Regionen der Welt mit ihrer Unterdrückung der Freiheit des Einzelnen führt). Jede Gesellschaft ohne Gott macht sich etwas zum Götzen, zum höchsten Gut, das letztlich enttäuscht muss.

Der Stolz lebt wesensmäßig von der Konkurrenz mit den anderen … Der Hochmut freut sich nicht an dem, was er hat, sondern daran, dass er mehr hat als ein anderer. Wir sagen, Menschen seien stolz auf ihren Reichtum, ihre Klugheit oder ihre Schönheit. Aber das ist nicht richtig. Sie sind stolz, weil sie reicher oder klüger oder schöner sind als andere.

C.S. Lewis, Pardon, ich bin Christ

Bringen wir unsere Leistung, weil wir den Menschen dienen wollen oder weil wir dann auf andere herabsehen können? Niemand kann immer aus dem richtigen Motiv heraus handeln, das wäre Utopie. Das Wissen um unsere Schwäche sollte uns immer wieder in der sonntäglichen Eucharistie vor Gott treten lassen und uns bewusst machen, dass wir nicht alles aus eigener Kraft können.

Erinnern Sie sich an das Buch Ester in der Bibel? Ester, ein hübsches, jüdisches Mädchen, wird vom Perserkönig zur neuen Königin erhoben. Im Palast ist das Leben nicht nach den jüdischen Gesetzen geregelt. Lange Zeit genießt sie einfach ihren Alttag ohne sich daran zu stören, bis ihr Volk bedroht wird. Jetzt ist es ihr Onkel, der sie großgezogen hat, weil ihre Eltern früh verstorben waren, der ihr ins Gewissen redet. Nach einigem inneren Ringen, bittet sie um Gebet und geht das Risiko ein, zusammen mit ihrem Volk sterben zu müssen. Es ist dieser Einsatz, der ihrem Volk und auch ihr selbst das Leben rettet.

Da ist der Chef einer Investmentbank, der, wenn auch vielleicht nur durch passives Verhalten, viele seiner Investoren im Dunklen gelassen hat. Da ist der Fußballtrainer, der gegen eine Reihe von Regelungen verstoßen hat. Da ist der städtische Beamte, der selbst vielleicht keine Bestechungsgelder annimmt, aber wegsieht, wenn Kollegen so etwas tun. Zum Teil wegen dieser Kompromisse sind sie aufgestiegen und haben jetzt hohe Positionen inne, aber ihr Gewissen ist nicht ganz rein.

Auch wir wissen, wie schwierig es im Alltag ist. Ihre Vorgesetzten haben Sie wiederholt angewiesen, Kunden zu sagen, dass ihr Auftrag auf eine bestimmte Art und Weise erledigt worden sei — und Sie wissen ganz genau, dass dem nicht so war. Oder sie haben geschwiegen, wo Sie den Mund hätten aufmachen sollen. Gibt es das überhaupt — Menschen, deren Gewissen immer rein ist? Gott fordert uns auf, uns zu fragen: Wo bin ich gerade? Warum bin ich dort?

Wenn wir wie Ester im Palast sind und unseren Einfluss, unsere Qualifikation und unser Geld nicht für die Menschen außerhalb des Palastes einsetzen, ist der Palast ein Gefängnis. Wir sind vielleicht mit unserem Leben zufrieden wie Ester. Es ist nur natürlich, wenn wir unsere Identität an der Position im Palast festmachen, unsere Sicherheit darauf gründen, dass wir eine gewisse Kontrolle über die Dinge im Leben haben, wir unsere Bedeutung darin finden, dass in gewissen Kreisen unser Wort zählt. Aber wenn wir nicht bereit sind, unsere Stellung im Palast für die Mitmenschen einzusetzen, dann sind wir ein Gefangener des Palastes.

Wenn jemand behauptet, dass das, was wir beruflich erreicht haben, durch Gottes Gnade zustande gekommen ist, ist unsere erste Reaktion wahrscheinlich: „Wenn der wüsste, wie ich gepaukt habe, um studieren zu können!“ „ Wenn die wüssten, wie ich im Studium und im Praktikum gebüffelt habe!“ „Wenn der wüsste, wie viel besser ich bin als meine Kollegen!“ Und so weiter. Aber die Begabung, die hinter unserer Arbeit steckt, haben wir uns nicht verdient; sie war einfach da. Alles, was wir haben, ist letztlich ein Geschenk — ein Geschenk, das uns die Freiheit gibt, der Welt nicht nur durch unsere Kompetenz zu dienen, sondern auch mit unserem Einfluss.

Wie können wir es besser schaffen, „im Palast“ ein Leben der Integrität und vielleicht sogar der wahren Größe zu führen? Gott hat uns erschaffen und uns alles gegeben, was wir haben; jeden Augenblick erhält er unser Leben, wir verdanken ihm buchstäblich alles. Nun tun wir aber meist so, als ob alles, was wir haben, unser Eigentum ist. Wir verwenden es, wie uns das passt — um uns selbst einen Namen zu machen. Auch wenn man nur ganz allgemeine ethische und religiöse Maßstäbe setzt, ist doch eindeutig: Hier wird unsere Beziehung zu Gott verletzt.

Jesus Christus, der Sohn Gottes, wohnte im Palast der Paläste, in unvorstellbarer Schönheit und Herrlichkeit, aber er gab dies freiwillig auf.

Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihr Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt: Jesus Christus ist der Herr zur Ehre Gottes, des Vaters.

Phil 2,6ff.

Er war dem Vater gleich, hielt dies aber nicht selbstsüchtig fest, sondern machte sich selbst zum Nichts, identifizierte sich mit uns und nahm unser Schicksal auf sich. Er riskierte dabei nicht nur sein Leben, sondern er gab es bewusst hin. Er sagte nicht: „Wenn ich umkomme, dann komme ich eben um!“, sondern er ging ans Kreuz, um dort für unsere Sünden zu sterben und sie zu sühnen, und seitdem gehört die Gnade, die er erworben hat, uns, wenn wir an ihn glauben. Er ist der große, der endgültige Mittler.

Wenn Sie Jesus Christus nicht nur als Vorbild sehen, sondern als Retter, der Ihnen ganz persönlich die Erlösung erworben hat, dann erahnen Sie, wie viel Sie ihm wert sind. Wenn Sie darüber nachdenken, wird diese Wahrheit Ihre Identität verändern. Sie wird Ihnen Ihren wahren, unschätzbaren Wert zeigen. Plötzlich sind all die anderen Dinge in Ihrem Arbeitsleben — Ihr Einfluss, Ihr Werdegang und der Nutzen, den Sie davon haben — nur noch das: Dinge, die Sie einsetzen können. Sie sind frei geworden.

Wenn Sie wirklich erkennen, was Jesus Christus für Sie getan hat, wie er für Sie den Palast der Paläste verließ, dann werden Sie fähig, von Ihrem Platz „im Palast“ aus Gott und Ihrem Nächsten zu dienen. Sie werden nicht groß werden, indem Sie versuchen, sich selber einen Namen zu machen, sondern indem Sie Gott dienen, loben und lieben.

Das ist die Motivation Jesu Christi bei der Menschwerdung. Und wir wissen, wenn alle Menschen so handeln würden, hätten wir eine andere Gesellschaft, eine Gesellschaft wie Gott sie will. Bemühen wir uns weihnachtliche Menschen zu werden, Menschen, die die Motivation Jesu Christi versuchen nachzuahmen!

Die Menschen der Zeit Jesu hatten keinen Katechismus und keine Dogmatik, aber sie begegneten in ihm einer Liebe, die göttlich war und deshalb vertrauten sie ihm. Das ist die Gegenbewegung zum Turmbau von Babel.