Ein Priester, er ist Professor, erhält von einem ihm Unbekannten einen Brief. Der Schreiber erzählt ihm von seiner frommen Frau. Er sei also mit allen kirchlichen Wassern gewaschen und kenne diese sehr genau, aber er könne nicht glauben. Er erwarte auch keine Antwort auf seinen Brief.
Ein interessanter Brief denkt sich der Priester, aber er ist erleichtert, weil er gerade viel um die Ohren hat. Jetzt folgen einige Seiten mit Vorwürfen gegen die Kirche, den Glauben und Gott. Glaubt der Schreiber wirklich, dass er als Professor auf diese Vorwürfe keine Antwort finden würde?
Der Priester zögert, doch weil der Brief nur noch eine Seite hat, liest er den Brief weiter. Da wird der Brief wieder persönlich, nichts mehr von den Vorwürfen gegen die Kirche, den Glauben und Gott.
Der Unbekannte schreibt, dass er seine kleine Tochter mit zwei Jahren an Krebs verloren hat. Wenn es Gott wirklich gäbe, wie konnte er so ein unschuldiges Wesen sterben lassen? Wenn es ihn gäbe und er so grausam sein kann, dann wolle er – der Briefschreiber – nichts von Gott wissen!
Dadurch bekamen die seitenlangen, wüsten Vorwürfe eine ganz andere Note. Der Priester empfand in diesem Augenblick Mitleid mit dem Vater. Er wäre jetzt gern bei ihm gewesen, um mit ihm sein Leid zu teilen. Dieser Mensch war im Schmerz verbittert und enttäuscht.
Wenn es Gott nicht gibt, dann läuft das Gefühl der Ungerechtigkeit und der Schmerz dieses Vaters ins Leere, sie wären völlig sinnlose Gefühlsregungen. Ohne Gott gäbe es weder gerecht und ungerecht noch gut und böse. Ein Atheist kann sich über ein ungerechtes Schicksal bei niemanden beschweren, auch nicht bei Gott.
Leiden ohne Gott ist Pech im anonymen Weltall, blinder Zufall oder unerbittliches Schicksal das kein Gesicht und kein Herz hat, das weder mein Weinen noch meinen Protest und Zorn hören kann. Wer nicht an Gott glaubt, findet auch keinen Schuldigen für Unglück und Ungerechtigkeit.
Der Schrei, mit dem der Vater Gott anklagte, war eigentlich ein Schrei der Hoffnung auf Gerechtigkeit. Wäre er Atheist, er würde sich der letzten Hoffnung auf Gerechtigkeit berauben.
Wir alle kenne derartige Geschichten aus unserem Leben oder dem Leben, von Menschen, die wir kennen. Und vielleicht fragen wir uns gelegentlich auch, wo ist Gott? Wie kann er zuschauen? Warum tut er nichts?
Wie reagiert Gott zu derartigen Vorwürfen und Anklagen?
Die Antwort Gottes liegt in der Krippe! Das ohnmächtige Kind in der Krippe sagt uns: Wir sind Gott nicht egal. Gott tritt in Schicksalsgemeinschaft mit uns. Dem, der ihn schlägt, wird er die andere Wange hinhalten. Er hält dies durch bis ans Kreuz.
Er ist nicht der kühle, teilnahmslose Regisseur unserer Geschicke, irgendwo hinter den Kulissen der Geschichte. Als Kind tritt er ein in die Geschichte unseres Elends, trinkt den Kelch der Schmerzen bis zur Neige und weiß sehr wohl, wie schwer die Last eines Kreuzes sein kann.
Sterbend vergibt er seinen Feinden, die ihn kreuzigten, wie auch seinen Freunden, die ihn in seiner größten Not im Stich ließen. Er kennt das alles und sagt mir: Auch in deinen tiefsten Nächten bin ich bei dir und verstehe dich.
Das Christentum verspricht uns keinen Gott, der uns auf Erden ein Leben ohne Leid zusichert und auf alle schmerzvollen, drängenden Fragen unverzüglich befriedigende Antworten liefert. Aber Gott sagt uns durch die Geburt seines Sohnes im Stall, dass er das Schicksal mit uns teil.
Wenn wir die Evangelien lesen, fällt uns auf, sie beschreiben uns nicht, wie Jesus ausgesehen hat. Das wäre im modernen Journalismus unvorstellbar. Statur, Kleidung wären wichtig. Der Schwerpunkt der Evangelien liegt auf dem Inhalt seiner Lehre und seinem Charakter.
Diese Kind in der Krippe lebt 30 Jahre bei seinen Eltern, dann lässt es sich von Johannes taufen und tritt mit dem Anspruch auf, der Sohn des lebendigen Gottes zu sein.
Wenn Jesus nicht der Sohn Gottes war und er sich dessen bewusst gewesen wäre, dann wäre er ein Betrüger gewesen. Er hätte die Menschen bewusst getäuscht.
Wenn Jesus nicht der Sohn Gottes war und er sich dessen nicht bewusst gewesen wäre, dann wäre er ein Psychopath gewesen, den man heute in die psychiatrische Behandlung überwiesen hätte.
Es hat kluge Menschen gegeben, die sagten: Das halte ich für die Wahrheit über die Welt. So solltet ihr leben. Jesus aber sagt: Ich bin die Wahrheit. Ich bin der Weg und das Leben. Niemand kann wirklich Leben erlangen außer durch mich.
Der Anspruch ist ungeheuerlich. Er lässt auch keinen Platz für Diskussionen. Entweder ich glaube oder nicht. Uns trifft der Anspruch im Alltag nicht mehr so hart, weil wir Jesus nicht direkt gegenüberstehen.
Jesus aß bereitwillig mit den Zolleintreibern, die mit den römischen Besatzungskräften zusammenarbeiteten. Das regte „Linke“ auf, die sich gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit ereiferten. Denken wir an die Bekehrung des Zachäus. Einer seiner Jünger, Matthäus, war Zöllner gewesen.
Aber er nahm sich auch der Prostituierten an, was „Rechte“ aufbrachte. Jesus verblüffte sie durch den Respekt und die Liebenswürdigkeit, die er diesen Frauen entgegenbrachte. Gleichzeitig forderte er sie auf ihr Leben zu ändern.
Jesus berührte Aussätzige absichtlich und liebevoll, die man für ansteckend und rituell unrein hielt. Sie waren von der Gesellschaft ausgeschlossen und sehnten sich doch verzweifelt nach menschlichem Kontakt. Er lässt sich von der blutflüssigen Frau berühren, obwohl sie dadurch kultisch unrein war. Das machte auch ihn für den Kult unrein, was die Priester aufbrachte.
Wir feiern die Geburt des Emanuel: Gott mit uns! Er lebt uns vor, wie wir leben sollen. Wie wir Gott und unseren Nächsten lieben sollen. Johannes schreibt über Jesus, er ist die Liebe. Seine Jünger liebten ihn.
Jesus heilt Menschen aber nicht alle. Aber er lehrt seine Jünger auch im geringsten Bruder ihn zu sehen. Ihm, dem Geringsten, sollten sie die Liebe erweisen, die sie Jesus gern erwiesen hätten.
Wir sind von ihm aufeinander verwiesen worden! Gott will durch mich dem Nächsten helfen!
Nur ein schöner Traum?
Obwohl die ersten Nachfolger Jesu wenige waren und nicht aus dem Zentrum der Gesellschaft kamen, entwickelten sie das Selbstbewusstsein, das Evangelium froh und furchtlos zu verbreiten, selbst unter Einsatz ihres Lebens.
Andere, die beanspruchten der Messias zu sein, und ihre Bewegungen sind mit dem Tod des Gründers untergegangen. Ihr Tod zeigte allen, sie waren nicht der Messias.
Wäre Jesus am Kreuz gestorben und nicht auferstanden, man würde sich an ihn nur noch als gescheiterten Möchtegern-Messias erinnern. Die Jünger mussten etwas außergewöhnliches erlebt haben, dass den normalen Lauf der Geschichte änderte. Über Nacht kamen Tausende von Juden zur Überzeugung, dass ein Mensch der Sohn Gottes war und gingen dann hin, um in diesem Glauben zu sterben.
Das Kind in der Krippe ist Gott! Er ist Gott mit uns! Liebe und Gerechtigkeit finden bei Gott ihre Erfüllung. Wir sind von ihm aufeinander verwiesen worden! Gott will durch mich dem Nächsten helfen!
Geduld mit anderen ist Liebe.
Geduld mit sich selbst ist Hoffnung.
Geduld mit Gott ist Glaube.
Thomas Halik, Geduld mit Gott