18. April 2024

Unterstützt Jesus die Tyrannen dieser Welt

Kennen Sie die Fernsehshow „Big Brother“?

Eine Gruppe von meist ehemaligen Stars lebt mehrere Monate in einem als Wohnung eingerichteten Fernsehstudio. Das Leben der Teilnehmenden wird rund um die Uhr von Fernsehkameras aufgezeichnet und regelmäßig live oder als Zusammenschnitt von „Highlights“ im Fernsehen ausgestrahlt.

George Orwell hatte 1949 den negativen Science-Fiction-Roman 1984 veröffentlicht. In dieser düsteren Zukunftsvision beschreibt er eine totalitäre Gesellschaft, die unter ständiger und lückenloser Überwachung durch den großen Bruder (Big Brother) steht.

Die TV-Sendung bezieht sich mit ihrem Titel auf diese lückenlose Überwachung durch den Staat und den Verlust jeglicher Privatsphäre. Für die Teilnehmer unsichtbare Zuschauer entscheiden dann per Mehrheitsvotum, wer die Gruppe verlassen muss. Die Beteiligten stehen diesem Votum ohnmächtig gegenüber, ihre Ausrutscher und Fehler werden gesehen und bestraft.

Die Zuschauer dürfen ein wenig in die Rolle Gottes schlüpfen, sie sehen und bewerten jede noch so private Handlung. Wie wir aus unserer eigenen Erfahrung wissen, ist Gott ziemlich großzügig, nicht so die Zuschauer der TV-Sendung.

Für George Orwell war das eine Horrorvision, auf die er mit seinem Roman hinweisen wollte. Die Sendung macht die Horrorvision zum erfolgreichen Geschäftsmodel und bereitet uns insgeheim auch auf die Realität vor.

In China ist die „Horrorvision“ bereits nahezu perfekt umgesetzt. Die Menschen werden allumfassend beobachtet und Algorithmen bewerten ihr Verhalten, geben ihnen für Kleinigkeiten des alltäglichen Lebens Punkte (social credit score). Diese entscheiden dann über Ihren Arbeitsplatz, Ihre Wohnung, den Kita-Platz oder Schulplatz für Ihr Kind.

Auch bei uns haben längst Algorithmen die Herrschaft übernommen, wenn auch eher still und heimlich. Google, Facebook, Amazon und andere wissen so viel über uns, dass sie uns bequem manipulieren können.

Alle streben nach Macht und Kontrolle der Welt. Was sagt Jesus dazu?

Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin! Und wenn dich einer vor Gericht bringen will, um dir das Hemd wegzunehmen, dann lass ihm auch den Mantel! Und wenn dich einer zwingen will, eine Meile mit ihm zu gehen, dann geh zwei mit ihm!

Mt 5,39-41

Sollen wir Christen mit den Mächtigen und Einflussreichen kooperieren oder uns schweigend anpassen? Kann das die Antwort sein? Die drei Beispiele, die Jesus im Evangelium aus dem damaligen Alltag aufgreift, sind es jedoch wert, dass wir sie genauer anschauen.

Um die rechte Wange zu treffen, müsste man die linke Hand oder den Handrücken der rechten Hand verwenden. Die linke Hand war aber damals unreinen Handlungen vorbehalten. Jesus spielt demnach auf eine Geste der Herabsetzung an: Man schlug einem Untergebenen mit dem rechten Handrücken auf die rechte Wange. Das war eine damals übliche Geste der Demütigung.

Jesus sagt seinen Zuhörern: Halt ihm auch die linke Wange hin. Im übertragenen Sinn bedeutet das: Bleib dir deiner Würde bewusst. Erhebe stillen Protest gegen die zugefügte Ungerechtigkeit. Würde er sich der Mächtige von der Geste provoziert fühlen und mit der Rechten zuschlagen, hätte er sich auf eine Stufe mit dem Erniedrigten begeben.

Damals wie heute führten die Mächtigen der Welt Krieg und benötigten viel Geld, um ihre Auseinandersetzungen finanzieren zu können. Sie pressten das Geld aus ihren Untergebenen heraus. Irgendwann waren die Lasten für die einfachen Menschen nicht mehr tragbar, dann wurden ihnen ihr Land, ihre Güter und schließlich ihr Leibrock genommen.

Der Leibrock war damals das einzige Kleidungsstück darüber trug man nur Gürtel und Mantel. Den Mantel durfte man einfachen Menschen nicht wegnehmen, diente er ihnen doch auch beim Schlaf. Wem der Leibrock vor Gericht abgenommen wurde, stand eigentlich nackt vor seinem Gläubiger. Ihm blieb nur noch der Mantel um das Gericht bekleidet zu verlassen.

Viele Menschen gerieten in diese Lage, ohne etwas dafür zu können. Ihnen sagt Jesus: Wenn dir jemand den Leibrock nimmt, dann gib ihn auch deinen Mantel. Damit verlies man das Gericht tatsächlich nackt und protestierte gegen die erfahrene Ungerechtigkeit. Der Arme konnte sich so die Würde bewahren.

Auch das dritte Beispiel Jesu ist aus dem Alltag genommen. Die römischen Legionen mussten sich schnell von einem Ort zum anderen bewegen. Juden, die auf jeder Straße angetroffen wurden, konnten von einem Soldaten gezwungen werden, ihm das Gepäck eine Meile zu tragen. Das berühmteste Beispiel ist Simon von Cyrene, der von den Legionären gezwungen wurde, Jesus das Kreuz zu tragen.

Wusste die Juden, dass eine Legion vorbeizog, flohen jüdische Männer in die Berge, um den Legionären nicht diesen erniedrigenden Dienst leisten zu müssen. Das Gepäck eine zweite Meile tragen zu lassen, verstieß gegen den Ehrenkodex der römischen Legionen. Dafür wurde der Soldat von seinem Vorgesetzten willkürlich bestraft.

Stellen Sie sich die Komik der Situation vor, wenn der Soldaten den Juden bitten muss, ihm sein Gepäck zurück zu geben, weil er Angst vor Strafe hat. Auch die Aufforderung Jesu, dem Legionär das Gepäck eine zweite Meile zu tragen, hilft also dem Ohnmächtigen seine Würde zu wahren.

Jesus geht es um die Würde des Menschen, nicht um Rache, deshalb verbindet er diese Beispiele mit der Feindesliebe. Wollen wir das Evangelium ernst nehmen, dann ist es die Aufforderung, Zivilcourage im Alltag zu üben. Das erfordert Mut.

Jesus will die Welt verändern, aber nicht mit Gewalt.

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