7. Oktober 2024

Verlorener Sohn

Das Gleichnis vom verlorenen Sohn erzählt Jesus, weil die Pharisäer sich aufregen, dass er mit Sündern isst. Der Patriarch von Moskau, Kyrill, und teilweise auch der russische Präsident, Putin, rechtfertigen den Krieg gegen die Ukraine auch damit, dass der Westen verkommen sei. Aus ihrer Sicht ist es unter anderem ein Krieg gegen die Sünde. Und ja, im Westen läuft vieles nicht nach den Geboten Gottes, da haben sie recht, und Gott ist sicher traurig darüber.

Allerdings übersehen Kyrill und Putin, dass Gott Adam und Eva die Freiheit gelassen hat zu sündigen. Denn wo es keine Freiheit gibt, gibt es auch keine Verantwortung für das eigene Tun oder das freie Ja der Liebe. Wer zu einer Handlung gezwungen wurde, wird das als strafmindernder Umstand bis hin zum Freispruch angerechnet. Alles, was die persönliche Freiheit einschränkt, mindert auch die Verantwortung für das eigene Tun. Die Freiheit des Menschen ist die Grundlage jeglicher Moral und damit jeder Gesellschaft.

Kyrill und Putin übersehen auch, dass es dieselben Sünden auch in Russland gibt. Eine Gesellschaft wird aber nicht dadurch besser, dass die Sünden offiziell als Ansteckung durch den Westen gebrandmarkt werden oder der Staat unter dem Deckmantel der Gebote Gottes Krieg führt.

Ja, ich wünsche der Ukraine Frieden und Gerechtigkeit, aber nicht weil sie dabei ist das Reich Gottes zu errichten, sondern weil die Freiheit des Menschen die Voraussetzung für Verantwortung vor Gott und Liebe zu Gott und zum Nächsten ist.

Jesus trifft sich mit Sündern. Allein schon durch sein Handeln, sagt er den Menschen: Niemand von euch ist vor Gott Gefangener seiner früheren Fehler oder seiner Vergangenheit, es gibt Erlösung.

Um den himmlischen Vater den Pharisäern verständlich zu machen, erzählt er das Gleichnis vom verlorenen Sohn, oder wohl besser von den beiden Söhnen. Da ist der ältere Bruder, der immer in der Nähe des Vaters ist, der die Arbeit macht, sich abmüht und dem Vater hilft. Und da ist der andere, der Jüngere, der sich sein Erbe ausbezahlen lässt und loszieht in die Welt. Damals war es üblich, dass der Ältere den Hof übernahm, der Jüngere ausbezahlt wurde und den Hof verließ. Darin liegt keine Schuld oder etwas Dreistes.

Sehr wohl verantwortlich ist der jüngere Sohn für das lockere und zügellose Leben, er genießt seine Freiheit losgelöst von den Geboten Gottes. Dadurch gerät er in Not, und als er sich gar nicht mehr zu helfen weiß, kehrt er reuevoll zurück zu seinem Vater. Der Vater hatte nichts unternommen, um den jüngeren Sohn zurückzuholen. Er hat auch nicht seine Gebote und Ansprüche an den jüngeren Sohn herabgesetzt, er lässt dem verlorenen Sohn seine Freiheit. Man kann niemanden zum Guten zwingen. Alles, was der Vater tut, ist: Er lässt seine Tür offen und geht ihm entgegen, als er zurückkommt.

Natürlich erfordert ehrliche Umkehr auch Wiedergutmachung gegenüber denen, die Geschädigt wurden, aber Jesus sieht in jedem Menschen das Ebenbild Gottes. Er hat Freude an einem sehnsuchtsvollen, reuevollen Herzen, dass seine eigene Schuld erkennt. Es muss zum Wesen der Kirche gehören, dass die Tür immer offen steht. Wie der Vater sollen wir uns freuen, über jeden der umkehrt und Buße tut.

Noch ein Gedanke kann uns helfen: Die ersten Christen lebten in einem komplett heidnischen Umfeld, in der Gesellschaft galten keine christlichen Normen. Aber sie hatten die Weisungen Jesu im Ohr: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet.“ „Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, bevor du den Splitter im Auge deines Bruders herausholen willst.“ Sie haben diese Mahnungen ernst genommen und nicht den Fehler des älteren Bruders gemacht. Sie haben nicht erwartet, dass das römische Reich die Gebote Gottes ernst nehmen würde, das erschien ihnen angesichts der vielen Verfolgungsopfer utopisch. Gemäß der Weisung Jesu haben sie das als ihre erste Aufgabe gesehen, was sie verändern konnten: Sich selbst.

Fangen wir da an, wo wir etwas in dieser Welt verändern können: bei uns selbst. Dann wird unsere Gesellschaft sich verändern und die Kirche aufblühen.