Bei unserer Meinung über die Macht gezielter politischer Werbung haben wir mit einer Asymmetrie zu tun. Wir glauben gern, wir hätten eine eigene Meinung und seien immun gegen Manipulation, sehen andere Menschen — vor allem jene mit einer anderen politischen Ansicht —aber als unfassbar leichtgläubig an. Die Wirklichkeit liegt irgendwo dazwischen.
Wir wissen, dass die Posts, die wir auf Facebook sehen, unsere Emotionen beeinflussen können. Bei einem umstrittenen Experiment manipulierten Facebook-Mitarbeiter im Jahr 2013 den Newsfeed von 689 003 Nutzern ohne deren Wissen (oder Einwilligung), um damit ihre Emotionen zu beeinflussen. Die Experimentatoren unterdrückten zunächst alle Posts von Freunden, die positive Worte enthielten, und beobachteten, wie ihre arglosen Versuchsteilnehmer jeweils reagierten. Nutzer, die weniger negative Beiträge lasen, schrieben auch selbst mehr Positives. Jene, die in ihrer Chronik kaum positive Posts zu sehen bekamen, verwendeten auch selbst mehr negative Worte. Schlussfolgerung: Wir glauben vielleicht, wir seien immun gegen emotionale Manipulation, aber sind es wahrscheinlich nicht. (Hanna Fry, Hello world, S. 58)
Hanna Fry, Hello world, S. 58.
Aus Studien ist auch bekannt, dass negative Emotionen uns langfristiger beeinflussen als positive. Groll trägt man viel länger im Herzen als Glücksgefühle. Wer eine Gesellschaft verändern oder destabilisieren will, muss negative Emotionen erzeugen. Das ist eine Form der modernen Kriegsführung.
Jeder Mensch schließt sich mit Gleichgesinnten zusammen. Im Alltag kennen wir die Menschen, mit denen wir es zu tun haben. Wir wissen, ob jemand dazu neigt zu übertreiben und ungeprüft Geschichten weitererzählt, oder ob wir uns auf seine Aussagen verlassen können. Im Internet können wir aber meist nicht mehr kontrollieren, ob es sich wirklich um einen Gleichgesinnten handelt, wir kennen die Personen oft nicht aus dem Alltag und wir können nicht immer ausschließen, dass es sich um fake people (Menschen, die ihre wahre Identität verheimlichen) handelt, die uns bewusst beeinflussen wollen. Was im reellen Leben wichtig und richtig ist, sich mit Gleichgesinnten abzustimmen, Argumente auszutauschen, birgt in der virtuellen Welt eine Gefahr in sich.
Wir spüren, wie Corona die Gesellschaft spaltet und oft redet man mit der anderen Seite nicht mehr. Wer eine wissenschaftliche Arbeit verfasst hat, weiß: Man wächst am meisten an den Argumenten der Gegnern. Wirklich gute Arbeiten geben Antworten auf die Argumente der Gegenseite. Man ist gezwungen, die eigenen Argumente zu überprüfen, ob sie den Gegenargumenten standhalten, und muss sie gegebenenfalls auch korrigieren.
Der Apostel Paulus mahnt:
Über eure Lippen komme kein böses Wort, sondern nur ein gutes, das den, der es braucht, auferbaut und denen, die es hören, Nutzen bringt! Betrübt nicht den Heiligen Geist Gottes, den ihr als Siegel empfangen habt für den Tag der Erlösung! Jede Art von Bitterkeit und Wut und Zorn und Geschrei und Lästerung mit allem Bösen verbannt aus eurer Mitte! Seid gütig zueinander, seid barmherzig, vergebt einander, wie auch Gott euch in Christus vergeben hat.
Eph 4,29-32
Wenn wir uns daran halten, dann wird Corona uns helfen zu wachsen, das gilt sowohl im Familien- und Freundeskreis als auch für unsere Gesellschaft.
Was am 24. Februar in der Ukraine passiert ist, zeigt, wohin eine Welt kommt, wenn man nur noch seine Meinung oder sagen wir besser nur noch „seine Wahrheit“ gelten lässt. Das sollte uns klar machen, wie wichtig Diskussionen mit reellen Menschen sind, dass wir die Meinung anderer, auch dann, wenn sie für uns unangenehm ist, hören und, immer wieder auch bereit sein müssen, unsere eigenen Positionen zu überprüfen. Das sollte uns aber auch klar machen, wie dankbar wir sein sollten, dass wir in einer Demokratie leben dürfen, in der wir unsere Meinung frei äußern dürfen.
Mit dem Erdrücken des politischen Lebens im ganzen Lande muss auch das Leben in den Sowjets immer mehr erlahmen. Ohne allgemeine Wahlen, ungehemmte Presse- und Versammlungsfreiheit, freien Meinungskampf erstirbt das Leben in jeder öffentlichen Institution, wird das Scheinleben in der Bürokratie allein das tätige Element. Das öffentliche Leben schläft allmählich ein, einige Dutzend Parteiführer von unerschöpflicher Energie und grenzenlosem Idealismus dirigieren und regieren, unter ihnen leitet in Wirklichkeit ein Dutzend hervorragender Köpfe, und eine Elite der Arbeiterschaft wird von Zeit zu Zeit aufgeboten, um den Reden der Führer Beifall zu klatschen, vorgelegten Resolutionen einstimmig zuzustimmen, im Grunde also eine Cliquenwirtschaft — nicht die Diktatur des Proletariates, sondern die Diktatur einer Handvoll Politiker.
Rosa Luxemburg zitiert aus „Die Freiheit, frei zu sein“ von Hannah Arendt.
Dabei muss für uns Christen in all den Streitfragen des Lebens unser Glaube der wichtigste Maßstab unseres Handelns sein. Was dem Glauben widerspricht, passt nicht zu uns Christen. Wir alle sind beeinflussbar und sind nicht allwissend, aber Gott hat uns die Zehn Gebote und das Gewissen an die Hand gegeben, damit wir unser Leben nach seinem Willen und zu unserem Wohl leben können. Und bitte vergessen wir die Menschen in den Krisengebieten der Welt, die von unseren Freiheiten und unserer Sicherheit nur träumen können, nicht in unseren Gebeten!