23. November 2024

Warum mich das persönlich traurig stimmt!

Am 7. November berichtet die Allgäuer Zeitung in ihrer online-Ausgabe neutral „Schon wieder ein Penis im Oberallgäu – aber diesmal ein recht vergänglicher“.

https://www.allgaeuer-zeitung.de/allgaeu/schon-wieder-ein-penis-im-oberallgäu-aber-diesmal-ein-recht-vergänglicher_arid-343339?type=amp

Was soll man dazu sagen? Derartige Darstellungen zeigen nicht nur auf, dass die Gebote Gottes als Handlungsgrundlage immer mehr aus dem Bewusstsein der Bevölkerung verschwinden, sondern dass sie heute eher als Schablone für Provokationen dienen. Zumindest können die Errichter des Penis davon ausgehen, dass dies so von Menschen empfunden wird, denen die Gebote Gottes noch etwas bedeuten. Und was wenn es Gott tatsächlich gibt, wovon ich ausgehe, — die Errichter scheinen das auszublenden oder nicht zu glauben —, dann ist es auch eine Provokation Gottes.

Das stimmt mich als Pfarrer natürlich traurig, aber auch unter einem weiteren Gesichtspunkt macht mich das sehr nachdenklich. Es handelt sich dabei „scheinbar“ um einen Ausdruck strotzender, selbstbewusster Männlichkeit. Ich schreibe bewusst scheinbar, denn tatsächlich werden die Hilferufe in Handwerk und Industrie wegen fehlender Facharbeitern immer lauter. Überaltert unsere Gesellschaft weiter bedeutet dies: Entweder die Sozialsysteme werden in naher Zukunft immer unbezahlbarer oder unser Wohlstand löst sich auf, weil immer mehr Steuergelder nötig sind, um den Sozialstaat zu erhalten. Die Provokation steht in direkter Diskrepanz zur gesellschaftlichen Realität. Wie ernst kann Gott eine derartige Provokation nehmen? Lassen Sie mich auf diese Frage später antworten.

Es zeichnet sich ab, dass die entstehende Ampel-Koalition ein Einwanderungsrecht beschließen wird. Die Zusammensetzung unserer Gesellschaft wird sich grundsätzlich verändern und Christen werden immer weniger beanspruchen dürfen, dass ihre Vorstellungen dem Land den Stempel aufdrücken. Das gilt auch für Fragen der Familie oder des Lebensrechts. Jürgen Habermas ist einer der weltweit meistrezipierten Philosophen und Soziologen der Gegenwart. Er sagt, dass die Demokratie auf dem jüdisch-christlichen Erbe fußt, zu dem es keine Alternative gibt:

„Der egalitäre Universalismus, aus dem die Ideen von Freiheit und solidarischem Zusammenleben, von autonomer Lebensführung und Emanzipation, von individueller Gewissensmoral, Menschenrechten und Demokratie entsprungen sind, ist unmittelbar ein Erbe der jüdischen Gerechtigkeits- und der christlichen Liebesethik. In der Substanz unverändert, ist dieses Erbe immer wieder kritisch angeeignet und neu interpretiert worden. Dazu gibt es bis heute keine Alternative. Auch angesichts der aktuellen Herausforderungen einer postnationalen Konstellation zehren wir nach wie vor von dieser Substanz. Alles andere ist postmodernes Gerede.

https://de.wikipedia.org/wiki/Jürgen_Habermas#cite_note-81

Was wird die Gesellschaft in Zukunft zusammenhalten? Es ist die Zukunft, in der die Errichter und, falls sie eine Familie gegründet haben, auch diese leben werden. Warum sollte ein Staat, in dem die Christen nur mehr eine Minderheit sind, weiterhin christliche Feiertage schützen? Der Wirtschaft sind diese Tage schon länger ein Dorn im Auge. Sie erhöhen nur die Produktionskosten. Wie wird der Staat Kulturdenkmäler, zu denen auch die kirchlichen Gebäude gehören, erhalten, wenn die Kirchen dazu nicht mehr in der Lage sind? In den Niederlanden, Frankreich und Belgien beispielsweise werden Kirchen zum Teil veräußert. Sie dienen dann anderen Religionen als Versammlungsort oder werden umfunktioniert zu Hotels, Bars und Museen. Italien hat das Problem so gelöst, dass jeder entweder Kirchensteuer oder Kultursteuer zahlt. Finanzielle bringt der Kirchenaustritt dann auch keinen Vorteil mehr. Viele kirchliche Einrichtungen wie Schulen, Studentenwohnheime, Pflegeheime, Krankenhäuser usw. werden geschlossen werden.

Wilhelm Röpke war Ökonom und hat nach dem zweiten Weltkrieg Konrad Adenauer beraten bei der Einführung der Sozialen Marktwirtschaft. Er war nicht „ganz zufrieden“ mit dem, wie Konrad Adenauer die soziale Marktwirtschaft politisch umgesetzt hat. So schrieb er 1958, kurz vor seinem Tod, sein letztes Buch: Jenseits von Angebot und Nachfrage. Es wurde 2009 neu aufgelegt, weil es geradezu prophetische Züge hat. Er wollte mit diesem Buch Konrad Adenauer zeigen, wohin die Fehler führen werden, die er gemacht hat. Seine Beschreibung trifft unsere Zeit. Er sagt unter anderem Monopolisten wie Amazon, Uber usw. und den Niedrigzins als Angriff auf das Privateigentum des kleinen Mannes voraus. Aber deswegen zitiere ich ihn hier nicht. In der Einleitung zu seinem Buch bringt er einen Gottesbeweise, den ich hier ungekürzt wieder geben will:

Ich habe immer Scheu gehabt, davon zu sprechen, da ich zu denen gehöre, die ungern ihre religiösen Überzeugungen zu Markte tragen. Um es aber bei dieser Gelegenheit mit aller Deutlichkeit zu sagen: der tiefste Sitz der Krankheit unserer Kultur liegt in der geistig-religiösen Krise, die sich in jedem Einzelnen vollzogen hat und nur in der Seele jedes Einzelnen auch überwunden werden kann. Wir haben, obwohl der Mensch vor allem ein Homo religiosus ist, seit einem Jahrhundert den immer verzweifelteren Versuch gemacht, ohne Gott auszukommen und den Menschen, seine Wissenschaft, seine Kunst, seine Technik und seinen Staat in ihrer Gottesferne, ja Gottlosigkeit selbstherrlich an seine Stelle zu setzen. Man darf überzeugt sein, dass eines Tages über die meisten wie eine Sturzwelle hereinbrechen wird, was jetzt erst wenigen klar ist: Jener verzweifelte Versuch hat eine Lage geschaffen, in der der Mensch als geistig-moralisches Wesen nicht existieren kann, was so viel heißt, dass er in ihr überhaupt nicht existieren kann, trotz Fernsehen, Autobahnen, Vergnügungsreisen und komfortablen Appartements. Es ist, als hätten wir den Gottesbeweisen einen neuen und überzeugenden hinzufügen wollen: den indirekten Beweis aus den praktischen Folgen der angenommenen Nichtexistenz Gottes.

Jenseits von Angebot und Nachfrage, S. 21

Weil wir versuchen, ohne Gott zu leben, und scheitern werden, sagt Röpke, beweisen wir uns selbst, dass es Gott geben muss. Alle, wir eingeschlossen, sind von der Gottesferne, Gottlosigkeit unserer Zeit betroffen und müssen sie immer wieder in unserem Herzen überwinden. Wir werden wohl auch in den nächsten Jahren noch weiter Zeugen des Niedergangs sein. Der Niedergang kann aber die christliche Hoffnung nicht zerstören, denn am Ende wird deutlich, dass der Mensch Gott zum Leben braucht.

Und weil die Gesetzlosigkeit überhandnimmt, wird die Liebe bei vielen erkalten. Wer aber bis zum Ende standhaft bleibt, der wird gerettet werden.

Mt 24,12f

So freue ich mich über jede Taufe und jede kirchliche Trauung. Ich möchte Sie alle einladen, Ihren Glauben bewusst zu praktizieren, denn Sie sorgen so dafür, dass unsere Kirchen nicht zu Kulturdenkmälern oder sogar veräußert werden. Werden Sie zu Multiplikatoren des Glaubens, weil Sie schon jetzt wissen, dass wir Menschen ohne Gott nicht leben können.

Zurück zur Überschrift: Wer über die Fehler anderer trauert, hat noch Hoffnung und den anderen noch nicht aufgegeben. Meine Trauer ist also ein Zeichen, dass ich hoffe, dass es uns allen wie Schuppen von den Augen fällt.

Darum – so spricht GOTT, der Herr: So wahr ich lebe – meinen Eid, den er missachtet, und meinen Bund, den er gebrochen hat, ich lasse sie auf sein Haupt zurückfallen.

Ez 17,19

Ach ja, was wird Gott zu den Provokationen sagen? Jede Sünde ist natürlich eine Beleidigung Gottes — wir sind angehalten, uns in der Beichte bei ihm zu entschuldigen —, ebenso aber schadet jede Sünde uns Menschen und unserer Gesellschaft. Gott muss uns gar nicht zusätzlich strafen, das tun wir schon selbst. Wie reagiert Gott auf eine derartige Provokation? Er wischt sich über so viel Kurzsichtigkeit und Blindheit die Augen und schüttelt ungläubig den Kopf.